Dienstag, 30. Juni 2015

Putins Rußland: Baltikum im Visir

Immer wieder wird in Deutschland die Überzeugung ausgedrückt, daß sich Rußland nie an den baltischen Staaten vergreifen würde und es sich bei der Stationierung von Nato-Soldaten dort um eine "unnötige Provoktion Rußlands" handele. Tatsächlich hat die wirtschaftliche und mediale Kriegführung Rußlands gegen Estland, Lettland und Litauen schon vor Jahren begonnen. Die Staatsgrenzen werden regelmäßig verletzt, auch Entführungen fanden bereits statt. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation sogar - auf Antrag aus der Staatsduma - mit der Prüfung begonnen, ob das Ausscheiden der baltischen Staaten aus dem Staatsverband der UdSSR rechtens gewesen sei. Mit "Untersuchungen" dieser Art werden nächste, aktivere Schritte - teilweise oder ganze Besetzung und gegebenenfalls Annexion - vorbereitet. Eine gleichartige "Untersuchung" wurde auch hinsichtlich des Übergangs der Krim von der Russischen zur Ukrainischen Sowjetrepublik durchgeführt.

meduza.io 30.06.2015

Putins Rußland: Wirtschaftsstatistik Mai 2015

Die russische Statistikbehörde Ross-Stat meldet für Mai 2015 folgende Veränderungen in der Wirtschaft (jeweils im Vergleich zum Mai 2014):

- Industrieproduktion -5,5%
- Bauwirtschaft -10,3%
- Einzelhandel -9,2%
- Lastentransport -4,1%
- Realeinkommen der Bevölkerung -7,3%
- PKW-Produktion -37,9%
- LKW-Produktion -18,3%
- Produktion von Stahlbetonbauteilen -23%

Damit verstärkt sich im großen und ganzen der bereits im April 2015 vermeldete Rückgang.

Zudem wurde bekannt, daß dem staatlichen Reservefonds, dessen Umfang Anfang 2015 5 Mrd. Rubel betrug, im Verlauf des Jahres 2015 3 Mrd. Rubel entnommen werden solle. Gleichzeitig wurden die meisten Positionen des Staatshaushalts pauschal um 10% gekürzt, die Inflationsanpassung wurde auf 5,5% begrenzt (bei einer Inflation von weit über 10%), bei Staatsangestellten (einschließlich Justizangestellten) wurde jegliche Lohnanpassung bis auf weiteres ausgesetzt.

Schließlich veröffentlichte Ross-Stat die Information, daß die Einnahmen aus dem Ölexport im 1. Quartal 2015 im Vergleich zum Vorjahresquartal von 43,1 auf 13,6 Mrd. US-$, also um 67,1% gesunken sind, obwohl der Umfang des exportierten Öls (in Tonnen) um 12,8% gestiegen ist.


Artikel von Igor Nikolajew auf Echo Moskwy vom 23.06.2015 und vom 30.06.2015

Samstag, 20. Juni 2015

Putins Rußland: Orthodoxe Kirche

Die Russisch-orthodoxe Kirche (RPZ) ist ein wichtiger und völlig integrierter Teil des Putin-Regimes. Sie unterstützt die Politik und die Verbrechen des Präsidenten vorbehaltslos, und der Präsident verschafft ihr immer mehr Reichtum und Einfluß und hat die in der Verfassung festgeschriebene Trennung von Staat und Kirche schon lange ausgehebelt. Entsprechend verwundert es wenig, daß auch Vertreter der - nominell christlichen - Kirche immer häufiger und heftiger die militaristische, kriegstreiberische Propaganda des Regimes mittragen und versuchen, ihr eine "religiöse" Basis zu geben.

In der Diskussionssendung "Clinch. Wird in Rußland die Balance zwischen Weltlichem und Religiösem beachtet?" auf dem Radiosender Echo Moskwy erklärte Wsewolod Tschaplin, Erzpriester der RPZ, Vorsitzender der Synodalabteilung der RPZ für Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft sowie Mitglied des putinschen Propagandaorgans "Gesellschaftliche Kammer der Russischen Föderation", seine Ansichten zum Thema Krieg. Im Detail führte er aus:

"Wenn die Gesellschaft unter den Bedingungen eines relativen Friedens - Ruhe, Sattheit - einige Jahrzehnte, zwei bis drei, lebt, kann sie unter den Bedingungen von Weltlichkeit existieren. Niemand wird für den Markt oder die Demokratie sterben, aber die Notwendigkeit für die Gesellschaft, für ihre Zukunft zu sterben, entsteht früher oder später. Es gibt keinen langen Frieden. Der Friede wird jetzt, Gott sei Dank, nicht lange andauern. Warum sage ich 'Gott sei Dank'? Eine Gesellschaft, in der das Leben zu satt und ruhig, zu problemlos, zu komfortabel ist - das ist eine von Gott verlassene Gesellschaft, diese Gesellschaft lebt nicht lange.

Die Balance zwischen Weltlichkeit und Religiosität wird letztlich wohl von Gott selbst gelenkt, der sich in die Geschichte einmischt und Leiden schickt. Leiden, die in diesem Fall von Nutzen sind. Denn sie ermöglicht es denen, die sich zu sehr daran gewöhnt haben, ruhig und komfortabel zu leben, sich zu besinnen. Und dann zeichnet sich wieder eine echte Balance ab.
"

Der Gesprächspartner Tschaplins, der liberale Politiker Leonid Goßmann, erwiderte: "Ich möchte darauf hinweisen, daß Erzpriester Wsewolod Tschaplin gerade sagte, daß es, Gott sei Dank, bald Krieg geben werde. Ich hoffe, daß Sie sich irren, und hoffe, daß Gott, wenn es ihn gibt, so etwas nicht zuläßt."

Worauf Tschaplin antwortete: "Wenn die Menschen gewöhnt sind, zu ruhig zu leben, ist es besser, daß [es Krieg gibt] ..."

Echo Moskwy 17.06.2015

Mittwoch, 17. Juni 2015

Putins Rußland: Yukos-Erbe

Zu den großen Wirtschaftsverbrechen des Putin-Regimes gehört die Zerschlagung der Ölfirma Yukos. In der Folge gab es 2014 zwei Urteile dazu vor unabhängigen Gerichten: eins vor einem Schiedsgericht in Amsterdam, bei dem Rußland zur Zahlung von ca. 50 Milliarden US-Dollar verurteilt wurde, und eins vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, demzufolge Rußland 1,6 Milliarden Euro zu zahlen hat. In den letzten Wochen erklärte Rußland, das Urteil des Straßburger Gerichts vom letzten Jahr ignorieren und die Zahlung nicht leisten zu wollen. Die vom Gericht gesetzte Frist bis zum 15.06.2015 für die Vorlage eines Zahlungsplans verstrich ungenutzt. Der Kläger, die Firma Yukos Universal Ltd., beantragte daraufhin vor einem belgischen Gericht die Beschlagnahme von russischem Staatseigentum. Diesem Antrag hat das Gericht jetzt statt gegeben.

Am 17.06.2015 wurden russischen Einrichtungen in Belgien von Gerichtsvollziehern die Information zugestellt, daß alles russische Staatseigentum in ihrem Besitz mit sofortiger Wirkung beschlagnahmt sei. Diese Einrichtungen müssen innerhalb von zwei Wochen ein Verzeichnis der sich in ihrer Verfügung befindlichen russischen Geldbeträge, Eigentumsstücke und Schulden gegenüber dem russischen Staat einsenden. Die Aufforderung ging auch an alle großen Banken, an die mit der Flugaufsicht beauftragte Organisation "Eurocontrol", an die Einrichtungen der orthodoxen Kirchen, an NGOs und an Medienunternehmen.

Mit ähnlichen Maßnahmen ist im Fall des viel größere Gerichtsentscheids aus Amsterdam zu rechnen.

Interfax 17.06.2015

Aktualisierung vom 18.06.2015
Nach einer Erklärung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat die Beschlagnahme russischen Eigentums nichts mit seinem Gerichtsurteil zu tun. Sie beruht also auf dem Urteil des Amsterdamer Schiedsgerichts. Inzwischen begannen ähnliche Beschlagnahmen auch in Frankreich und Österreich.

Дождь 18.06.2015
forbes.ru 18.06.2015
podrobnosti.ua 18.06.2015

Freitag, 5. Juni 2015

Putins Rußland: Parlamentsmonster im Naturschutzgebiet



Vor einigen Jahren beschloß das Putin-Regime, alle Regierungsorgane aus dem im Krisenfall schwer zu kontrollierenden Moskau in wenig besiedelte Teile des Moskauer Umlands zu verlegen. Dafür wurde der Südwesten der die Stadt Moskau umgebenden Moskauer Oblastj als „Neu-Moskau“ der Hauptstadt zugeschlagen. Jetzt wurde bekannt, daß inzwischen ein geheimer Wettbewerb zum Neubau des Parlaments stattgefunden hat. (Wie es in der russischen Presse richtig heißt: Wettbewerbe zu Parlamentsgebäuden werden nicht einmal in Afrika geheim durchgeführt.) Teilgenommen haben unter anderem Michail Philippow, Juri Grigorjan, Wladimir Plotkin und Sergej Tschoban (im Westen als „Tchoban“ bekannt). Gewonnen aber hat Michail M. Possochin (Михаил Михайлович Посохин). Die 23-köpfigen Jury - der nur ein Architekt und ansonsten Vertreter der Duma, der Verwaltung und der Bauindustrie angehörten - leitete Wladimir J. Ressin (Владимир Иосифович Ресин), früher stellvertretender Bürgermeister Moskaus und jetzt Duma-Abgeordneter der Putin-Partei "Einiges Rußland". Die Kombination von Possochin als Sieger-Architekt und Ressin als Jury-Vorsitzenden gab es bei Moskauer Wettbewerben schon so oft, daß man nicht mehr wirklich von einem „Verdacht“ sprechen kann. Possochins Bauten zerstörten gern auch Stadtstruktur und verletzten gesetzliche Regeln, ohne daß es zu nachteiligen Folgen für den Architekten geführt hätte. Auf sein Konto gehen unter anderem ein Kreml-Palast, der Wiederaufbau der Christi-Erlöser-Kathedrale, die "Weiterentwicklung" der historischen Bauten in Zarizyno und ein Hochhaus in Moscow-City.

Die Größe des geplanten Gebäudes ist mit 345.000 Quadratmeter und einer Höhe von 75 Metern gewaltig. Das britische Parlament – Westminster Hall – würde 19 Mal hineinpassen. Gebaut wird das Monstrum in einem Gebiet (der Мневниковская пойма), das bislang unter strengem Naturschutz stand. Dort gibt es zum einen unbegrenzten Bauplatz, zum anderen keine Nachbarn, die stören oder demonstrieren könnten. - Der Stil des Siegerentwurfs zeigt ein weiteres Mal, wohin die Reise geht: in die Zeit der Sowjetunion, hier konkret in die 1970er Jahre, die des Breshnewschen Stillstands.

Kommersant Weekend 05.06.2015, S. 20.

Putins Rußland: Schuldenlast

Die Putin-Propaganda und ihre internationalen Mitarbeiter werden nicht müde, auf den Umstand hinzuweisen, daß der russische Staat so gut wie keine Schulden habe. Das ist, wie so viele „Informationen“ aus dem Kreml, falsch. Der russische Staat hat sein Defizit in die Regionen verschoben. Auf dem Papier ist Rußland eine Föderation, de facto aber ein Zentralstaat. Fast sämtliche Einnahmen gehen nach Moskau, von dort werden sie – je nach politischem Interesse – auf die Regionen (die „Republiken“, Oblasti, Krai und andere „Subjekte der Föderation“) verteilt. Ihre Aufgaben und Vollmachten bekommen die Regionen ebenfalls aus Moskau zugewiesen. In den letzten Jahren wurden die Aufgaben der Regionen immer stärker ausgeweitet, ohne daß dafür eine Gegenfinanzierung zur Verfügung gestellt wurde. Eines der jüngeren Beispiele ist das Problem der Regionalbahnen. Der Staatsmonopolist „Russische Eisenbahn“, der seine Tarife vollkommen undurchsichtig gestaltet, forderte plötzlich eine massive Erhöhung der Zuschüsse durch die Regionen. Als diese dazu nicht bereit war, stellte er hunderte von Zugverbindungen ein, auf die die Pendler angewiesen waren und sind. Daraufhin wurden die Regionen von Putin angewiesen, „eine Lösung“ für das Problem zu finden. Das Verhalten der „Russischen Eisenbahn“, geleitet vom Putin-Freund und Großkorruptionär Wladimir Jakunin, wurde nicht kritisiert, die Zuschüsse an die Regionen wurden nicht erhöht.

Nun ist es soweit, daß eine erste russische Region ihre Zahlungsverbindlichkeiten nicht mehr bedienen konnte, also in den Zustand des default geriet. Andere Regionen konnten diesem Schritt nur entgehen, indem sie massiv Druck auf die Gläubigerbanken ausübten oder indem sie früher gegebene Staatsgarantien vor dem Eintritt des Garantiefalls einfach widerriefen. Insgesamt stieg die Verschuldung der Regionen und Kommunen von 1438,6 Milliarden Rubel im Jahr 2011 auf 2402,1 Milliarden Rubel im Jahr 2014, eine Entwicklung, die sich 2015 bruchlos fortsetzt.

Ведомости 2015, Nr. 100 (Fr, 05.06.), S. 5.
Echo Moskwy 05.06.2015

Nachtrag: Inzwischen wurde bekannt, daß als erste russische Region die Oblastj Nowgorod in default gehen mußte.
Echo Moskwy 10.06.2015

Putins Rußland: Wirtschaftskrieg

Eigentlich würde man denken, daß das Mittel des politisch motivierten, vorgeblich aber von einer Aufsichtsbehörde rational begründeten Einfuhrverbots für Lebensmittel nach Rußland (zum Beispiel früher gegen moldawischen Wein und georgisches Wasser) für Rußland ausgeschöpft wäre, seit sich das Land freiwillig von Lebensmittelimporten aus der EU im Rahmen der sogenannten Gegensanktionen abgeschnitten hat. Aber nein: Die russische Landwirtschaftsaufsicht (Россельхознадзор) hat jetzt die Einfuhr lettischer und estnischer Fischereiprodukte verboten.

Tass 29.05.2015
Россельсхознадзор 03.06.2015
kasparov.ru 04.06.2015

Mittwoch, 3. Juni 2015

Deutsche Deppen: Clemens Verenkotte

Auf tagesschau.de schreibt Clemens Verenkotte: "Syrien, Irak, der Kampf gegen die Terrormiliz IS oder die Ukraine - alles Themen, die beim G7-Treffen auf der Agenda stehen. Und alles Themen, für die es kaum eine Lösung ohne Russland geben kann." Eine Aussage, die, direkt gesprochen, von der Abwesenheit jeglichen Sinns und Verstands zeugt. Wie soll Rußland unter dem Verbrecherregime Putin, das jedes Recht und jedes Gesetz bricht, im Innern wie im Äußern, zu einer sinnvollen und internationalen Normen entsprechenden Lösung der genannten Probleme beitragen? Wenn wir davon ausgehen, daß Verenkotte nicht im Sold des Kremls steht, so bleibt nur die Diagnose, daß der Journalist und Historiker nicht die geringste Ahnung hat, mit wem er es in Rußland zu tun hat, daß sein Texte und seine Analyse ein weiteres Beispiel der in Deutschland verbreiteten gefährlichen Dummheit und Ignoranz sind, die in so weiten Kreisen der deutschen Medien, Politiker und Unternehmer zu finden ist. Es spricht doch auch niemand mit der NPD über das Problem des Antisemitismus. Deutschland sollte sich an die alte Regel erinnern: Mit Terroristen wird nicht verhandelt.

Clemens Verenkotte: G7 suchen Lösungen ohne Putin. tagesschau.de, 03.06.2015

Dienstag, 2. Juni 2015

Putins Rußland: Geschichtsrevisionismus

Die Rückkehr Rußlands zu Positionen der sowjetischen Geschichtssicht schreitet voran. Im russischen Fernsehen wurde ein "Dokumentarfilm" über die Ereignisse in der CSSR 1968 gezeigt, dem zufolge es sich beim Einmarsch der Truppen der Sowjetunion und anderer Armeen des Warschauer Vertrags um einen Hilfsakt zur Verhinderung eines militärischen Umsturzes gehandelt habe. Das Handeln der Interventen sei keine Aggression gewesen. - Die Tschechische und die Slowakische Republik protestierten gegen die Aussagen des Films.

Nachricht auf Echo Moskwy, 02.06.2015