Seit Mitte November 2014 tritt der ehemalige SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck als neuer führender Putin-Propagandist in der deutschen Öffentlichkeit auf. Am 21. November antwortete ihm Alexander Morosow, Chefredakteur des Russischen Journals in einem offenen Brief.
Sehr geehrter Herr Platzeck,
uns Russen verbinden lange und fruchtvolle Beziehungen mit der deutschen Sozialdemokratie. Ihr öffentlicher Aufruf, die Annexion der Krim anzuerkennen, kam deshalb gänzlich unerwartet. Ich verstehe, daß er in erster Linie von dem Wunsch getragen ist, die russisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen und jenes besondere Klima der Zusammenarbeit, das sich in nachsowjetischer Zeit zwischen Moskau und Berlin eingestellt hatte, zu schützen.
Doch Sie begehen einen großen Fehler! Die Krim – das bedeutet längst nicht nur den Übergang der Kontrolle über die Insel von einem Staat der ehemaligen UdSSR an einen anderen. Die Krim ist vielmehr ein Synonym für die Zerschlagung der Zivilgesellschaft in Rußland, für das Bestreben eine der Verfassung zuwiderlaufende Staatsideologie einzuführen, für den immer stärkeren Druck auf die Presse. Sie ist ein Synonym der alles durchdringende Militarisierung des öffentlichen Bewußtseins, des Anheizens der archaischsten antiwestlichen Stimmungen durch Regierung und Behörden.
Anders ausgedrückt ist die Krim ein Symbol der Transformation des gesamtem Putinschen Regimes in ein Regime von neuer Qualität. Sie ist das Symbol eines „anthropologischen Experiments“, das der Kreml an der eigenen Bevölkerung durchführt.
Die Krim stellt die Antwort des Kremls auf den gesellschaftlichen Aufbruch in Rußland in den Jahren 2011/12 dar, als breite Schichten der russischen Bürger begannen, sich am Kampf für freie Wahlen und eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung an der Politik zu beteiligen. Dieser Aufbruch war eine hoffnungsvolle Reformbewegung der Befürworter einer europäischen Entwicklung Rußlands. Das Anschwellen jener Proteste wurde seitens des Kremls als vom Westen konstruierte Bedrohung interpretiert und niedergeworfen. Genau zu jener Zeit, im Jahr 2013, noch vor Beginn der Ukrainekrise, setzte auch eine umfassende antiwestliche und vom Kreml gutgeheißene Kampagne ein.
Die Krim, Herr Platzeck, das ist das Symbol jenes tiefen Abgrunds, in den der Kreml die russische Gesellschaft geworfen hat.
Wie, Herr Platzeck, können Sie das unterstützen? Zumal Ihre Erklärung in Rußland mit Begeisterung von eben jenen Kräfte aufgenommen wurde, die für die völlige Verrohrung der russischen Bevölkerung verantwortlich zeichnen. Sie leisten jenen Beistand, die Rußland mit Hilfe des Konflikts mit dem Westen und der Isolierung der Russischen Föderation von Europa regieren wollen. Jenen Kräften, die das von der Bevölkerung durch nichts zu kontrollierende politische Einpersonenregime zu Ende errichten und unumkehrbar machen wollen. Ein aggressives, auf einem archaischen Verständnis der Weltpolitik beruhendes, jegliche uns mit Ihnen verbindende universelle Werte verneinendes Regime.
Steht das denn nicht im völligen Widerspruch zur Weltanschauung jener Partei, der Sie angehören und der Sie in der Vergangenheit einmal vorstanden? Kann die deutsche Sozialdemokratie denn wirklich die Degradierung der russischen Gesellschaft begrüßen?
Ihre Erklärung, Herr Platzeck, ist ein Schritt, der der russischen Zivilgesellschaft und ihren Nichtregierungsorganisationen, den freien Medien und allen, die sich eine wirtschaftliche und politische Modernisierung Rußlands wünschen, enormen Schaden zufügt.
Verstehen Sie denn wirklich nicht, daß es bei all dem nicht um die „Regulierung eines Territorialstreites“ zwischen Rußland und der Ukraine geht, sondern um die Ergebnisse unserer gesamten gemeinsamen, fünfundzwanzigjährigen, postsowjetischen Geschichte?
Sie werden schon bald erschaudern, wenn Sie erkennen werden, in welch archaischen Zustand das Abenteuer Krim die russische Gesellschaft stürzt.
Wenn Sie glauben, dass Sie unser Schicksal nicht betrifft, dann befinden Sie sich in einem gewaltigen Irrtum! Ich bin überzeugt, daß die Annexion der Krim unmittelbare Auswirkungen auf Ihre eigene Zukunft und die Zukunft der europäischen Gesellschaften haben wird.
Alexandr Morosow
Chefredakteur des “Russkij Shurnal” (Russisches Journal)
Original von Александр Морозов auf Facebook 21.11.2014
Herzlichen Dank an Marian Madeła für die Erlaubnis, seine Übersetzung zu spiegeln.