Freitag, 5. Juni 2015
Putins Rußland: Parlamentsmonster im Naturschutzgebiet
Vor einigen Jahren beschloß das Putin-Regime, alle Regierungsorgane aus dem im Krisenfall schwer zu kontrollierenden Moskau in wenig besiedelte Teile des Moskauer Umlands zu verlegen. Dafür wurde der Südwesten der die Stadt Moskau umgebenden Moskauer Oblastj als „Neu-Moskau“ der Hauptstadt zugeschlagen. Jetzt wurde bekannt, daß inzwischen ein geheimer Wettbewerb zum Neubau des Parlaments stattgefunden hat. (Wie es in der russischen Presse richtig heißt: Wettbewerbe zu Parlamentsgebäuden werden nicht einmal in Afrika geheim durchgeführt.) Teilgenommen haben unter anderem Michail Philippow, Juri Grigorjan, Wladimir Plotkin und Sergej Tschoban (im Westen als „Tchoban“ bekannt). Gewonnen aber hat Michail M. Possochin (Михаил Михайлович Посохин). Die 23-köpfigen Jury - der nur ein Architekt und ansonsten Vertreter der Duma, der Verwaltung und der Bauindustrie angehörten - leitete Wladimir J. Ressin (Владимир Иосифович Ресин), früher stellvertretender Bürgermeister Moskaus und jetzt Duma-Abgeordneter der Putin-Partei "Einiges Rußland". Die Kombination von Possochin als Sieger-Architekt und Ressin als Jury-Vorsitzenden gab es bei Moskauer Wettbewerben schon so oft, daß man nicht mehr wirklich von einem „Verdacht“ sprechen kann. Possochins Bauten zerstörten gern auch Stadtstruktur und verletzten gesetzliche Regeln, ohne daß es zu nachteiligen Folgen für den Architekten geführt hätte. Auf sein Konto gehen unter anderem ein Kreml-Palast, der Wiederaufbau der Christi-Erlöser-Kathedrale, die "Weiterentwicklung" der historischen Bauten in Zarizyno und ein Hochhaus in Moscow-City.
Die Größe des geplanten Gebäudes ist mit 345.000 Quadratmeter und einer Höhe von 75 Metern gewaltig. Das britische Parlament – Westminster Hall – würde 19 Mal hineinpassen. Gebaut wird das Monstrum in einem Gebiet (der Мневниковская пойма), das bislang unter strengem Naturschutz stand. Dort gibt es zum einen unbegrenzten Bauplatz, zum anderen keine Nachbarn, die stören oder demonstrieren könnten. - Der Stil des Siegerentwurfs zeigt ein weiteres Mal, wohin die Reise geht: in die Zeit der Sowjetunion, hier konkret in die 1970er Jahre, die des Breshnewschen Stillstands.
Kommersant Weekend 05.06.2015, S. 20.